Warum emotional kompetente Menschen oft besser verhandeln.
Stelle dir vor, du bist in einer Verhandlung und dein Standpunkt wird einfach übergangen. Wie reagierst du in solch einem Moment?
Es gibt eine Aussage, die mir während meiner Ausbildung in Verhandlungsführung in den USA besonders in Erinnerung geblieben ist. Sie lautet:
„If you don´t see me, we are going nowhere, no matter how good your offer is “.
Diese Aussage bringt es auf den Punkt. Der Aufbau einer Vertrauensbasis ist mit entscheidend für gute Verhandlungsergebnisse. Kein Wunder: Bindung, Zugehörigkeit, Selbstwertschutz bzw. Selbstwertstabilisierung – also das Gefühl gesehen und gehört zu werden – gehören nach Klaus Grawe zu den elementaren psychologischen Grundbedürfnissen. Genau hier kommt die emotionale Intelligenz in Spiel. Nach meiner Erfahrung sind sie die stillen Erfolgsfaktoren, vor allem je schwieriger die Verhandlung oder die Geschäftsbeziehung ist. Hierunter zählen:
- Selbstwahrnehmung: wahrnehmen, wenn die Emotionen hochkochen
- Selbstregulation: eigene Gefühle steuern können und auch unter Druck ruhig und klar zu bleiben
- Motivation: das Ziel im Blick behalten und konstruktiv darauf hinarbeiten
- Empathie: die Interessen, Motive und Bedürfnisse der Gegenseite verstehen
- Soziale Kompetenz: strategisch kommunizieren und tragfähige Beziehungen aufbauen
Selbstwahrnehmung
Es geht um die Verhandlung von Qualitätsthemen und Kosten. Während des Meetings sagt dein Verhandlungspartner:
„Sie haben ja einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, ich bin mir nicht sicher, ob sie mir hier folgen können. Stellen Sie mir ruhig Fragen“
Damit stellt er indirekt deine Kompetenz infrage. Wie reagierst du in so einer Situation?
Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, eigene Emotionen wahrzunehmen und richtig einordnen zu können – zum Beispiel das Wahrnehmen der eigenen Nervosität oder die eigenen Trigger zu kennen.
Ein zentraler Punkt in Verhandlungen ist das Bewusstsein über die eigenen „wunden Punkte“, also die persönlichen Trigger. Denn mancher (manipulativer) Verhandler hat das Ziel diese Knöpfe zu finden und zu drücken. Warum? Sie wollen dich damit aus dem Konzept bringen, um die Verhandlung in ihrem Sinne zu führen.
- Was sind Trigger genau und warum beeinflussen sie uns so stark?
Ein Trigger ist ein Reiz – ein Wort, Tonfall, Verhalten oder ein bestimmter Kontext, der eine starke emotionale Reaktion auslösen kann. Hierbei wird das emotionale Gedächtnis, insbes. die Amygdala, aktiviert. Das bedeutet, dass du im Grunde nicht auf die aktuelle Situation reagierst, sondern auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, die unbewusst immer noch wirken.
- Wie kannst du deine persönlichen Trigger herausfinden?
Eine hilfreiche Methode ist, vergangene Situationen – ob Verhandlungen oder Konflikte – zu reflektieren, die dich emotional besonders stark berührt oder verärgert haben. Dafür kannst du dir unter anderem diese Fragen stellen:
- Welche Situationen bringen dich immer wieder aus der Fassung?
- Welche Wörter triggern dich (z.B. immer, nie, aber, …)
- Welche Aussagen lösen bei dir starke Reaktionen aus?
- Vielleicht auch – welche Personen triggern dich leicht? Wie sehen diese aus und erinnern sie dich an jemanden aus deiner Vergangenheit?
Das Wissen um die eigenen Trigger und die dazugehörigen körperlichen Reaktionen (erhöhter Puls, Röte im Gesicht, Schwitzen) bildet die Grundlage, die eigenen Emotionen besser zu kontrollieren und damit souveräner aufzutreten. Sie ist auch die Basis, um später schwierige Verhandlungen zielgerichtet und deeskalierend führen zu können. Denn bevor wir Einfluss auf unser Gegenüber nehmen können, müssen wir zuerst unser eigenes Verhalten im Griff haben.
Selbstregulation
Haben wir erst einmal wahrgenommen, dass Emotionen in uns aufsteigen, kommt der Punkt der Selbstregulation ins Spiel. Wichtig ist hierbei, die aufkochenden Gefühle rechtzeitig abzufangen, bevor sie uns komplett überrollen. Du kannst dir das vorstellen, wie ein schwer beladener Güterzug: Wenn dieser erst einmal voll in Fahrt ist, ist er schwierig zu stoppen. Deshalb lautet die Devise: aufkochende Emotionen rechtzeitig bemerken (Selbstwahrnehmung) und dann bewusst zu handeln. Dafür gibt es verschiedene Methoden. Hier ein paar Tools, die ich selbst gerne nutze und bis heute anwende:
Mentale Tools
Gedankenunterbrechung
- „Gedanken-Stopp-Methode“ Stelle dir hierbei ein rotes Stoppschild vor um die Emotionale Spirale (vor allem die Gedanken dazu) zu unterbrechen
- „Auf den Balkon gehen“ Im Harvard Konzept schlagen die Autoren vor gedanklich auf den Balkon zugehen, sprich die Situation von außen zu betrachten und damit eine Metaperspektive einzunehmen.
Visualisierungsübung
Für Menschen mit guter bildlicher Vorstellungskraft können sich ein innerer Schutzschild oder eine Glaswand visualisieren, die sie zwischen sich und dem Gegner gedanklich schieben. Dabei lässt sich aus der Metaperspektive wieder die Situation von außen betrachten. Das schafft emotionale Distanz.
Tools, die über das Nervensystem wirken
Über das Nervensystem, hier vor allem die Atmung, lässt sich unser innerer Zustand sehr effektiv regulieren. Das Schöne daran ist: Niemand bekommt es mit.
4-6-8 Atmung
- 4 Sekunden einatmen
- 6 Sekunden den Atem halten
- 8 Sekunden ausatmen
Diese Atemtechnik aktiviert den Parasympathikus und beruhigt dich innerhalb weniger Atemzüge.
Zwicken
Ein leichter, unauffälliger Reiz (z. B. in die Handfläche zwicken) holt dich zurück ins Hier und Jetzt.
Kaltes Wasser ins Gesicht
Manche Verhandlungen erfordern es, eine Unterbrechung einzulegen vor allem dann, wenn die Emotionen hochkochen. Eine Möglichkeit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen ist ein Kältereiz – er dämpft die Stressreaktion und kann uns wieder klarer denken lassen.
Selbstmotivation
Selbstmotivation bedeutet in der Verhandlung, die eigene Energie konsequent auf das Ziel und nicht auf die Störungen zu richten. Ein zentraler Faktor in Verhandlungen ist es, kognitiv klar zu bleiben. Manche Verhandler nutzen gezielt Ablenkungsmechanismen (Taktiken), um uns vom eigentlichen Ziel abzubringen.
Typische Taktiken sind:
- Nebenschauplätze eröffnen
Hierbei bringen sie beispielsweise längst vergangene Probleme auf den Tisch, die nichts mit der momentanen Situation zu tun haben.
- Grenzen testen
Eine weitere beliebte Vorgehensweise ist, dass sie versuchen Grenzen auszutesten, indem sie kleine subtile oder auch direkte verbale Angriffe während der Verhandlung platzieren. Als Taktik ist es das Ziel die Gegenseite aus der Fassung zu bringen!
- Komplexe Situationen erschaffen
Kennst du den Spruch „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen“. Genau das ist eine Taktik – durch zusätzliche, teils irrelevante Themen und Informationen, Druck oder Konflikte wird die mentale Kapazität überlastet. Menschen, unter hoher kognitiver Belastung treffen schlechtere Entscheidungen.
Deshalb ist Selbstmotivation in Verhandlungen oder auch in Konflikten vor allem eins: Aufmerksamkeitsmanagement!
Aufmerksamkeit hilft, im hier und jetzt zu bleiben, Emotionen rechtzeitig zu regulieren und wenn nötig Strategien / Taktiken anzupassen und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Folgendes kannst du tun:
Wenn du merkst, dass dein Gegenüber Nebenschauplätze aufmachen möchte, dann lenke die Verhandlung wieder zurück auf das eigentliche Ziel:
- „Ich sehe Ihren Punkt. Dieser steht allerdings heute nicht auf der Agenda. Lassen sie uns diesen gerne in einem anderen Setting besprechen“.
→ signalisiert Wahrnehmung, setzt Grenzen, bleibt kooperativ.
- „ … ich möchte gerne wieder den Punkt x auf der Agenda aufgreifen“
→ klare Rückführung zur gemeinsamen Agenda
- „Lassen sie uns wieder zurück zu Punkt x zurück gehen“
→ Klar, simpel und souverän
Bei subtilen oder direkten Angriffen ist folgende Aussage möglich:
- „Ich habe den Eindruck, dass die Art und Weise, wie wir verhandeln, nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen wird, dass wir, wie ich glaube, beide erzielen wollen“. „Wir sollten darüber reden, welchen Weg wir hier weiter gehen möchten“
Priorität ist es, wieder in den Driver Seat der Verhandlung zu kommen und diese zielgerichtet zu führen.
Daher lautet die zentrale Frage: worauf möchtest du deine Aufmerksamkeit richten? Auf die Taktiken des Verhandlungspartners oder das Ziel?
Empathie
Chris Voss definiert Empathie „Empathy is the ability to recognize the perspective of a counterpart, and the vocalization of that recognition.”
Ja, Empathie zu entwickeln ist dann besonders schwierig, wenn man selbst etwas zu erzählen hat. Doch jemanden verstehen zu wollen bedeutet nicht, die eigenen Interessen hintanzustellen oder der anderen Position zuzustimmen. Empathie hilft vielmehr dabei, die Perspektiven, Interessen, Bedürfnisse und die damit verbundenen Gefühle des Gegenübers wirklich zu verstehen.
Zwei Formen der Empathie:
- Kognitive Empathie oder auch PTA = Perspective Taking Ability: Dies beschreibt nicht Empathie im Sinne von Mitgefühl, sondern die Fähigkeit sich strategisch in die Perspektive des Gegenübers hineinzuversetzen. Ziel ist es, den Blickwinkel des Verhandlungspartners zu verstehen, nicht diesen zu übernehmen.
- Emotionale Empathie: Wir fühlen mit der anderen Person mit. Heißt, diese Gefühle in sich selbst wahrzunehmen und gleichzeitig präsent zu bleiben.
Warum ist dies für Verhandlungen wichtig?
Beziehungsaufbau ist gleichzeitig der Aufbau von Vertrauen und der Schlüssel für (viele, nicht alle) Verhandlungssituationen. Empathie unterstützt dabei, herauszufinden:
- Was treibt mein Gegenüber an? Was will er oder sie wirklich?
- Welche Ängste oder gar Zwänge könnten hinter einer Aussage oder Handlung stecken?
- Was möchte mein Verhandlungspartner vermeiden?
Bei all dem geht es nicht darum, eine Art Freundschaft mit dem (strategischen) Verhandlungspartner aufzubauen. Der Fokus liegt vielmehr darauf, eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen, auf der beide Seiten konstruktiv Arbeiten können.
Ziel: ein Verhandlungsergebnis, mit dem beide Seiten zufrieden sind.
Beziehungsmanagement
Soziale Kompetenz oder auch Beziehungsmanagement ist ein zentraler Bereich der Emotionalen Intelligenz. Er umfasst die Fähigkeit harmonische Beziehungen aufzubauen, Konflikte konstruktiv zu lösen und effektiv mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Beziehungsmanagement baut auf den vorherigen Bereichen der Emotionalen Intelligenz auf und führt alle zusammen. Können wir in schwierigen Situationen – beispielsweise Konflikten – unsere hochkochenden Emotionen wahrnehmen und regulieren, sind wir eher in der Lage:
- Klar zu kommunizieren
- Konflikte konstruktiv zu lösen
- Gespräche (Verhandlungen) zielgerichteter zu steuern
Vor allem in Verhandlungen ist Beziehungsaufbau kein „Nice to have“, es ist ein essenzieller Bestandteil für erfolgreiche Verhandlungen, mit dem Ziel einer strategischen Partnerschaft. Sie schafft Vertrauen und öffnet für neue Möglichkeiten für eine bessere Zusammenarbeit.
Ziel des Beziehungsmanagements:
- Klare Kommunikation statt Missverständnisse
- Souveränes Auftreten, ohne hart sein zu müssen
- Konflikte konstruktiv lösen, zielgerichtet verhandeln
Am Ende zeigt sich: Erfolgreiche Verhandlungen beginnen nicht im Außen, sondern in uns selbst. Wenn wir lernen, unsere Emotionen zu verstehen und zu regulieren – und unsere inneren Blockaden und Trigger zu erkennen und aufzulösen – entsteht innere Stabilität. Diese Stabilität ist eine Kraft, die uns trägt und bei uns bleiben lässt, egal wie sehr es im Außen stürmt.
Emotionale Intelligenz ist damit nicht nur ein Soft-Skill – es ist ein machtvolles Tool für mehr innere Stärke, Souveränität und Authentizität, die nach außen wirkt. Wer sich selbst gut führt, führt auch Gespräche klarer, gelassener und wirkungsvoller. Und genau das ist der Schlüssel zu erfolgreichen, respektvollen und nachhaltigen Verhandlungsergebnissen.
Quellen:
- Ury / William L.: Schwierige Verhandlungen
- Stone/Patton/Heen: Difficult Conversations – How to discuss what matters most
- Chris Voss / Thal Raz: Never Split The Difference
- Golemann, Daniel: Emotionale Intelligenz
- National Library of Medicine; The effect of cognitive load on decision making with graphically displayed uncertainty information: https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4063894/?utm_source=chatgpt.com
- Götzfried, Alexandra: Emotionale Intelligenz für Führungskräfte & Teams
